Pia Janssen / Space Invader

5. Grosses Bassin

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Rede an die Augen der Betrachter.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie schwer es ist, zu glauben, was man nicht sieht und zu sehen, was unsichtbar ist, sieht man, wenn man an diesem Bassin steht. Weil man etwas sieht, das etwas Unsichtbares verbirgt. Das glaubt man ja erst mal gar nicht. Wozu?
Angesichts eines unermesslichen Vorrats an Sichtbarem ist es doch seltsam, etwas sichtbar zu machen, indem man es versteckt, oder etwas versteckt, was gar nicht da ist. Das ist, als würde man eine Erkenntnis verkünden, die sich von vorne herein irrt; oder das ist wie eine Münze, die nur eine Seite hat; oder wie ein Nachruf auf jemanden, der gar nicht gestorben ist. Man könnte natürlich von einer körperlosen Energie sprechen, die sich jenseits aller Materialität in dieser Welt befindet, so eben auch unter dieser Umhausung. Allein dadurch, dass man hier steht und sich für das Unsichtbare etwas vorstellt, ist man ja schon in diesem Reden von einem Körper-Geist-Dualismus, aber das muss ja jetzt wirklich nicht sein.
Wirklich dagegen ist, dass die Kunst manchmal einen Schutz braucht, damit sie nicht zum blinden Fleck in unserem Sichtfeld wird.
Wirklich dagegen ist, dass jeder Fleck dieser Erde mit Dingen und Bedeutung belegt ist, und dann liegt es doch fast auf der Hand, etwas davon zum Verschwinden zu bringen. Weil beim Verschwinden Flächen für Inspiration frei werden, und sei es nur, dass man das Verschwundene geträumt hat.
Kunsttheoretisch klingt das so:
Auf diese Weise ist der Betrachter zur gedanklichen Rekonstruktion der Skulptur aufgefordert worden und hat mittels einer sozusagen über den optischen Bestand hinausgehenden Deutung der Skulptur erkennen können, wie leicht Reales und nicht bzw. nicht mehr Existierendes ineinander übergehen können.
In einem modernen Märchen würde es jetzt so weiter gehen:
Und eines Tages kam die gute Fee, ließ das Bassin mit reinstem Quellwasser auffüllen, das Stadtsäckel mit vielen goldenen Talern und dann wäre das, was woanders war, wieder hier.
Aber, und das ist vielleicht die List an dem Verschwinden, aber das, was einmal unsichtbar war, ist, wenn es wieder da ist, vielleicht nicht mehr das, was es einmal war. Jetzt ist es das, was man sah, und dann nicht mehr und dann wieder sah.
Da traut man doch seinen Augen nicht.
Wie nennt man etwas, das verschwand und wieder auftaucht? Sind das nicht Wiederauferstandene, Rückkehrer, Verlorengeglaubte, manchmal auch Zombies, Heilige, Außer-Irdische, Zeitreisende.
Vielleicht – aber hier ist es immer noch Kunst, nur mit anderen Augen.
Und wie nennt man den, der seinen Augen nicht traut: Kunstliebhaber.
Und was tut ein Liebhaber, dessen Geliebte die Kunst ist: er liebt das Unglaubliche.
Und was ist das Unglaubliche: was sich in seiner Glaubhaftigkeit durchaus der faktischen Überprüfung entziehen kann, im Auge des Betrachters aber als unentbehrlich empfunden wird.
Und deswegen stehen wir hier am Bassin.

Werktext

space-invader / hidden-sculptures

Autor: mythendermoderne (Pia Janssen) Würde eines Nachts, alle Skulpturen entfernt, wer könnte am nächsten Morgen sagen wo welche gestanden hat? Entlang des City-Sees, auf dem Creilerplatz und vor dem Rathaus Marl erzählen zehn Hörstücke vom eigenen und fremden Blick auf die Skulpturen in der Stadt. Geschichten entstehen und verbinden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander und werden so dem Narrativ der Skulptur habhaft. Der akustische Parcour entlang der Skulpturen vermittelt zwischen dem Unsichtbaren und dem Sichtbaren. Der Hörer wird Teil der Geheimnisse der Kunstwerke. Im Herbst 2015 verschwanden zehn Skulpturen im Aussenraum des Skulpturenmuseums Marl unter silbernen, hölzernen Umhausungen der Künstlerin Pia Janssen. Während der Zeit der umhüllten Skulpturen interviewte sie, gemeinsam der Schrifstellerin Bettina Erasmy zufällig vorbei gehende Passanten zu der Kunst am im Aussenraum des Museums. Dieses Tonmaterial und Fakten über die Bildhauer und ihre Zeit waren die Grundlage für die Kurzgeschichten die Bettina Erasmy für jede Skulptur schrieb. In der Regie von Pia Janssen entstanden 10 Hörstücke mit der Musik von Block Barley und 10 Sprecher*innen, die sich zu einem Hörparcour verdichten.

Projektbeschreibung
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